Strafrecht: Der Ablauf eines Strafverfahrens

Ein Strafverfahren beginnt mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Wird das Verfahren nicht vorzeitig beendet, so folgt das Hauptverfahren. Wird das Verfahren nicht zum Schluss der Hauptverhandlung eingestellt, so endet das Strafverfahren erster Instanz mit einem Urteil.

DAS ERMITTLUNGSVERFAHREN

In der Regel beginnt ein Ermittlungsverfahren mit einer Strafanzeige, welche bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft (StA) eingebracht werden kann. Jedermann hat das Recht, eine Strafanzeige zu erstatten, wenn ihm eine strafbare Handlung bekannt wird. Die Strafverfolgungsbehörden haben auch anonymen Anzeigen nachzugehen. (EvBl 2009/131, (1)). Behörden oder öffentliche Dienststellen haben die Pflicht, von Amts wegen zu verfolgende strafbare Handlungen der Kriminalpolizei oder StA anzuzeigen (§ 78 StPO). Eine besondere Anzeigepflicht trifft Ärzte (§ 54 ÄrzteG).

Das Ermittlungsverfahren dient dazu, den Sachverhalt und den Tatverdacht durch Ermittlungen (§ 91 StPO) zu klären (1). Die Kriminalpolizei besitzt dabei eine eigenständige Ermittlungskompetenz. Der Staatsanwaltschaft kommt im Ermittlungsverfahren die Leitungskompetenz zu (§ 20 StPO), sie entscheidet über Fortgang und Beendigung des Ermittlungsverfahrens (1). Die Kriminalpolizei hat Anordnungen der StA und des Gerichtes zu befolgen (§99 StPO).

Die Aussagen des Beschuldigten brauchen – im Gegensatz zu jenen des Zeugen – nicht wahrheitsgemäß sein.

Die Durchführung und das Ergebnis von Ermittlungen müssen nachvollziehbar sein. Dazu bedarf es einer genauen Protokollierung. Die Protokollierung kann durch Aktenvermerk, Protokoll oder Ton- und Bildaufzeichnungen erfolgen (1).

In bestimmten Fällen hat das Gericht über Anträge der StA zu entscheiden: z.B. Beschlagnahme (§115  Abs 2 StPO), Anordnung bzw. Fortsetzung der Untersuchungshaft (§ 174 StPO), Durchsuchung von schriftlichen Aufzeichnungen oder Datenträgern (§ 112 StPO), Durchbrechung des Bankgeheimnisses (§ 116 Abs 3 StPO), Durchsuchung einer Wohnung (§ 120 Abs 1 StPO), körperliche Untersuchung (§ 123 Abs. 3 StPO), molekulargenetische Analyse (§ 124 Abs 2 StPO), Überwachung von Nachrichten sowie optische und akustische Überwachung von Personen (§ 137 Abs 1 StPO) (1).

Aber auch der Beschuldigte kann während des Ermittlungsverfahrens beispielweise einen Antrag auf Einstellung des Gerichtsverfahrens bei der StA einbringen (§ 108 StPO). Diese hat das Verfahren entweder von sich aus einzustellen (§ 190, 191 StPO) oder sonst den Antrag an das Gericht weiterzuleiten (§ 108 Abs 2 StPO) (1).

Nach Abschluss der Ermittlungen hat die Kriminalpolizei einen Abschlussbericht an die StA zu verfassen, aufgrund dessen diese dann über die Erhebung einer Anklage, diversionelle Erledigung (§ 198 StPO), Einstellung (§ 190, 191 StPO) oder Abbrechung des Verfahrens (§ 197 StPO) entscheiden kann (§ 100 StPO) (1).

Eine divisionelle Erledigung kann grundsätzlich bei allen Delikten erfolgen, welche in die Zuständigkeit des Bezirksgerichts bzw. des Einzelrichters beim Landesgericht fallen und somit eine Strafdrohung von bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe aufweisen (1). Das Gesetz sieht vier Diversionsmaßnahmen vor: Zahlung eines Geldbetrages (§ 200 StPO), gemeinnützige Leistungen (§ 201 StPO), Probezeit (§ 203 StPO), oder Tatausgleich (§ 204 StPO). Wird ein Verfahren divisionell erledigt, gilt der Beschuldigte als nicht vorbestraft.

Erfolgt keine divisionelle Erledigung, oder Abbrechung des Verfahrens, erscheint der Sachverhalt ausreichend geklärt und ist mit einer Verurteilung zu rechnen, bringt die Staatsanwaltschaft eine Anklage oder einen Strafantrag (im bezirksgerichtlichen Verfahren und im Einzelrichter-Verfahren am Landesgericht) bei Gericht ein.

Ein umfassendes und sorgfältig geführtes Ermittlungsverfahren führt meist dazu, dass bereits vor der Hauptverhandlung aufgrund der Aktenlage das Urteil de facto schon feststeht und für den Beschuldigten meist nur noch die verhängte Strafe überraschend sein kann (1).

TIPP: Der Beschuldigte ist daher gut beraten, bereits im Ermittlungsverfahren seine Verteidigungsmöglichkeiten umfassend wahrzunehmen und mit größter Sorgfalt alles vorzubringen, was seiner Entlastung dient (1).

DAS HAUPTVERFAHREN

Mit dem Einbringen der Anklage oder des Strafantrages obliegt die Leitung des Verfahrens dem Gericht und nicht mehr der Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft wird zur bloßen Beteiligten des Verfahrens (§ 210 Abs 2 StPO).

Zur Hauptverhandlung werden Zeugen, Sachverständige, Dolmetscher, die Vertreter sowie die übrigen Verfahrensbeteiligten (§ 220 StPO) wie die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte zu laden.

Nach Eröffnung der Hauptverhandlung kommt es zur Befragung des Angeklagten über seine Generalien (§ 240 StPO). Danach trägt der Ankläger (StA) die Anklage vor. Der Verteidiger hat das Recht, auf den Vortrag der Anklage mit einer Gegenäußerung zu erwidern (§ 244 Abs 3 StPO). Hierauf folgt die Vernehmung des Angeklagten (§ 245 StPO). Danach werden Zeugen oder Sachverständige einzeln in Anwesenheit des Angeklagten vernommen (§ 248 StPO). Nach dem Schluss des Beweisverfahrens erteilt der Vorsitzende das Wort für Schlussvorträge (§ 255 StPO). Dem Angeklagten steht das letzte Wort zu. In jeder Hauptverhandlung muss bei sonstiger Nichtigkeit ein Protokoll aufgenommen werden (§ 271 Abs 1 StPO).

Der Vorsitzende verkündet das Urteil öffentlich und mündlich „Im Namen der Republik!“, danach gibt er eine kurze Begründung (§ 268 StPO) und erteilt die Rechtsmittelbelehrung. Das mündlich verkündete Urteil ist binnen 4 Wochen auszufertigen (§ 270 Abs 1 StPO).

Die Verfahrensbeteiligten geben ihre Rechtsmittelerklärungen ab. Sie können das Urteil anerkennen, gleich ein Rechtsmittel anmelden, oder sich drei Tage Bedenkzeit nehmen.

(1) Stefan Seiler, Strafprozessrecht (11), S 168ff

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